Von der Exa I zur Highspeed-Fotografie

Vor vielen Jahren – ich war vielleicht 12 Jahre alt – überließ mir auf einer Klassenfahrt ein weitsichtiger Lehrer ein Buch zum Zeitvertreib. Damit war die Reise erledigt, mich interessierten nur noch die »Abenteuer in Doktor Kleinermachers Garten«. Zu dieser Zeit experimentierte ich gerade mit der 6x9-Balgenkamera meines Vaters, aber für die kleinen Insekten, die mich interessierten, war sie natürlich nicht geeignet. Deshalb konnte ich es kaum erwarten, endlich meine eigene Spiegelreflex in den Händen zu halten. 
Es war – wie hätte es damals in der DDR anders sein können – eine Exa I, die Standard-Einsteigerkamera mit Wechselobjektiven. Für die Zwischenringe mußte ich noch etwas sparen, aber dann stand den ersten Fotos von Bienen, Wespen und all den anderen winzigen Geschöpfen, die Doktor Kleinermacher und seine Freunde in natura besucht hatten, nichts mehr im Wege. Fast schon Pflichtliteratur waren die Bücher des heute nahezu vergessenen Autors Günter Olberg, der die Technik der Nah- und Insektenfotografie sehr anschaulich erläuterte. Allerdings benutzte er die Exakta Varex, damals der Rolls Royce unter den Spiegelreflexkameras und für einen Schüler wie mich unerschwinglich. Der nächste Traum war schließlich ein Objektiv mit längerer Brennweite. Und natürlich ein Vergrößerungsgerät, für das schon der Platz auf dem Dachboden vorbereitet war. Das Geld dafür mußte ich nur noch erarbeiten – als Aufsteller im Kegelverein meines Vaters.

Die drei Bände »Doktor Kleinermacher« von Herbert Paatz in der Originalausgabe
Der Autor mit der tragbaren Anlage, mit der viele der hier gezeigten Fotos entstanden sind

Im Laufe der Zeit war es allerdings ein wenig langweilig geworden, immer wieder Bienen und andere Insekten auf der Blüte zu fotografieren. Die meisten können schließlich fliegen, und genau das wollte ich im Bild festhalten. Zum Glück gab es damals den S/W-Film auch als preiswerte Meterware, so daß die unzähligen Fehlbelichtungen finanziell im Rahmen blieben. Ohne Lichtschranke und ohne Blitz, das wurde mir bald klar, war hier aber nichts auszurichten. Leider war Ende der sechziger Jahre der Wegwerf-Vacublitz noch Stand der Technik und ein Elek­tronenblitz war genauso unerschwinglich wie die Exakta Varex. Also blieb nur der Selbstbau, eine nicht ganz ungefährliche Angelegenheit. Mittlerweile Student der Physik mit abgeschlossener Elektrikerausbildung, habe ich aber auch diese Phase unbeschadet überstanden. Das Ergebnis war ein 1000V-Elektronenblitz mit zwei Blitzleuchten, den es so nicht einmal für viel Geld zu kaufen gab. Der Selbstbau einer Lichtschranke scheiterte leider an der Mechanik und an den damaligen Bauelementen, die viel zu unempfindlich und zu langsam waren. Als frischgebackener Diplom-Physiker konnte ich mir aber wenigstens eine Exakta-Varex leisten. Allerdings war sie genauso vollmechanisch wie die Exa und damit für das angedachte Ziel auch nicht besser geeignet. So schlief die Idee der Flugfotografie wieder ein, bevor sie richtig begonnen hatte.

Ein Titelbild mit Wirkung

Es dauerte bis Mitte der achtziger Jahre – inzwischen wohnte ich längst in München – als mir in einer Buchhandlung ein Titelbild ins Auge stach, das alles änderte. Das Buch hieß »Im Flug gestoppt – Tierfotos in Kurzzeittechnik«. Autor war der Brite Stephen Dalton, von dem ich bis dato noch nichts gehört hatte. Seine gestochen scharfen Farbfotos von fliegenden Insekten, Vögeln und Fledermäusen waren sensationell, er hatte genau das geschafft, was ich mir zwar vorgestellt, aber niemals verwirklicht hatte. Mit diesem Buch war mein Interesse an der Kurzzeitfotografie wiedererwacht.

Fototechnisch sah es mittlerweile ein wenig besser aus. Die »Computerblitze« erreichten sehr kurze Blitzzeiten und die eine oder andere Luxuskamera ließ sich sogar elektrisch auslösen, wenn auch nur sehr langsam. Der »shutter lag«, mit dem schon Stephen Dalton zu kämpfen hatte, war nach wie vor das Hauptproblem.
Die Schlußfolgerung war einfach: Anstatt die Zeit mit dem »Frisieren« von langsamen Zentralverschlüssen aus der Großformatfotografie zu vergeuden, mußte man es gleich richtig machen, sprich, auf professionelle Technik zurückgreifen. Und die hieß Rollei PQS, der weltweit schnellste Zentralverschluß, der in Fotokameras eingesetzt wurde. Leider war er nicht als Einzelteil beim Fotohändler zu bekommen und so dauerte es noch einmal mehrere Jahre, bis mir die Firma Rollei einen einzelnen Verschluß verkaufte.
In der Automatisierungsindustrie, in der ich arbeitete, gehörten Elektronik und Mikrocontroller zum täglichen Brot. So funktionierte die Ansteuerelektronik auch bald und Lichtschranken gab es sowieso wie Sand am Meer. Sogar die Lehrwerkstatt der Firma (so etwas gab es damals tatsächlich noch) war dankbar für die Gelegenheit, ein Alugehäuse drehen zu dürfen, in das der Verschluß perfekt hineinpaßte.

Endlich war es so weit

Der schnellste Verschluß arbeitete an meiner Nikon F4. Leider stellte sich bald heraus, daß diese Anlage einen unangenehmen Nebeneffekt besaß: Sie vernichte Geld beim Zusehen. Bei hohem »Flugaufkommen« war ein teurer Dia-Film mit 36 Aufnahmen in Nullkommanichts durchgezogen. Und wenn man Pech hatte, waren alle Aufnahmen Ausschuß.
Die digitale Fotografie brachte dann die Wende, seitdem sind zehntausende Aufnahmen mit dieser Technik entstanden. Leider wurde die Firma Rollei nach mehreren Konkursen im Jahre 2015, kurz vor ihrem hundertsten Geburtstag, endgültig liquidiert. Aber ihr Verschluß läuft immer noch, ein Glanzstück deutscher Ingenieurskunst.

Irgendwann und fast unbemerkt kam dann auch das Ende der Berufstätigkeit. Die Highspeed-Fotografie ist natürlich immer noch der Bereich der Fotografie, in den ich einen Großteil der neugewonnenen Freizeit investiere. Aber auch in die eine oder andere Reise oder in Projekte, bei denen sich die Fotografie mit der Elektronik besonders gut kombinieren läßt, wie z.B. das Focus-Stacking oder der LED-Blitz.

Und Stephen Dalton? Ihn habe ich anläßlich des Naturfotofestivals 2015 in Lünen persönlich kennengelernt, wo er einen Preis für sein Lebenswerk entgegennahm. Seitdem fotografiert er auch mit PQS-Technik. Ein guter Anlaß für ein Glas Bier bei ihm zu Hause in England.